Verlustangst

 

Verlustangst
 

1.) Entwicklung der Verlustangst

Bindungsangst und Verlustangst stehen in unmittelbaren Zusammenhang:

Um ein Gefühl der Verlustangst zu entwickeln, muss man zunächst das Gefühl der Bindung kennen. Angesichts der enormen gesellschaftlichen Bewegungen heutzutage (Flexibilität und Mobilität als Werte unserer Leistungsgesellschaft) bedeutet eine Bindung an einen anderen Menschen immer auch das Risiko, den Verlust desselben zu erfahren.
Bei manchen Menschen führen auch bestimmte Kindheitserfahrungen zu einer solchen inneren Leere, dass sie nicht mehr bereit sind, durch weitere Bindungen weitere Verluste zu riskieren.

Was bedeutet Bindungsangst ?
Wenn ein Mensch eine Bindung eingeht, so lässt sich diese bestimmen als der Lernprozess, gegenüber einem anderen Menschen Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauen stellt die Grundlage, eine dauerhafte Beziehung mit wechselseitiger Verantwortung auf freiwilliger Basis aufrechtzuerhalten.
Die erste Bindung zwischen Mutter und Kind dient als Modell für die spätere Entwicklung. Gelingt diese Beziehung nicht oder kommt es zu einer für das Kind schmerzhaften Trennung, bleibt immer eine Angst vor Abhängigkeit und damit Nähe und Bindung bestehen.

Ursprünglich werden Menschen von einem Bedürfnis nach Nähe bestimmt. Lässt sich dieses Bedürfnis nicht erfüllen, wird der Schmerz darüber verdrängt. In extremen Fällen wird das Nähebedürfnis vom eigenen Ich abgekoppelt zum Schutz für die verletzte Psyche. Damit scheint der Wunsch nach Nähe kontrollierbar zu sein, und auch mögliche Abhängigkeitsängste werden so unter Kontrolle gebracht.

Wie äußert sich Bindungsangst ?
Bindungsangst äußert sich häufig in einer Neigung zu Eigenbrötelei und im unzureichend ausgeprägten Verantwortungsgefühl gegenüber Sozialpartnern (Familie, Freunden). Oft besteht auch eine Neigung zum häufigen und schnellen Wechsel von Bezugspersonen, zu denen meistens auch nur flüchtige und kurzzeitige Kontakte bestehen.

Wie wird Verlustangst erlebt ?
Üblicherweise setzt Verlustangst eine Bindungsfähigkeit voraus, kann also auftreten, wenn eine bestehende Bindung gefährdet erscheint, z.B. durch einen Dritten. Oft drückt sich dann Verlustangst durch Eifersucht aus, hat also mit einem labilen Selbstwertgefühl zu tun. Die Bindung wird als zwiespältig erlebt, was die Angst vor Verlust der Liebe, des Vertrauens und der Sicherheit neu aktualisiert.

Wenn ein Mensch zur Welt kommt, ist der wichtigste Teil seines Lebens bereits vorbei:

* Das Leben des Embryos/Fötus ist abhängig von der Bergungs- und Zufluchtsqualität des Uterus
* Im werdenden Kind muss sich das Gefühl der Lebenssicherung und Lebensbestätigung entwickeln
* Fehlen diese Impulse, tötet es sich, da es allein nicht lebensfähig ist oder . . .
* Es überlebt und hat Lebensverlustängste
* Die Verlustangst wird in seiner Psyche gespeichert und bildet das Gerüst jenes Filters, durch den es später seine Lebenswirklichkeit wahrnehmen wird
* Die Angst ruft sich durch den Schmerz in Erinnerung, wenn sich bekannte und abgespeicherte Ereignisse wiederholen

2.) Ursachen von Verlustangst

Ursachen der Verlustangst während der Entwicklung
Ursachen hierfür sind in der zweiten Phase der Entwicklung zu suchen. Im Unterschied zur Frühphase des Kindes, wo es allmählich beginnt seine Umwelt wahrzunehmen und seine Mutter als Quelle seiner Bedürfnisbefriedigung erkannt hat, kommt es danach zum erkennen der Abhängigkeit zu einem Menschen. Zugleich kommt es zu einem erwachendem Bedürfnis nach vertrauter Nähe, üblicherweise zur Mutter. Ob es hier erstmals Zuneigung oder Ablehnung erfährt, sich als geliebt oder ungeliebt erlebt, hängt davon ab, wie die Mutter es anfasst, behandelt und mit ihm umgeht.

Welche Möglichkeiten für eine Störung in dieser Phase können dafür als Ursache auftreten.
Zwei charakteristische Fehlverhalten der Mutter kommen hier in Frage.

1.) Die übermäßige Verwöhnung. Hier die sogenannte Gluckenmutter, der es am liebsten wäre, wenn das Kind immer ein Baby bliebe, hilflos und abhängig, sie brauchend und angewiesen. So z.B. Frauen, die selbst zum depressiven Strukturkreis gehören. Es können aber auch noch andere Faktoren dabei eine Rolle spielen; wie bei Frauen, die von der Ehe entäuscht sind oder den Partner verloren haben. Somit wird das Kind nun zum ganzen Lebensinhalt für sie. Sie brauchen das Kind zu sehr, brauchen seine Liebe, und tun alles, was es ihnen zu Dankbarkeit verpflichten soll. Je älter die Kinder werden, desto problematischer werden sie für die Mütter. Sie verwöhnen die Kinder von Anfang an, schon beim stillen, nehmen es bei jedem Schreien auf und ersticken so seine Vitalimpulse, beantworten jede Unlustreaktion des Kindes mit zudeckender Zärtlichkeit. Das alles bindet das Kind an die Mutter und führt dazu, dass es sich nicht eigenständig entwickeln kann. So lernt es nichts ohne die Mutter oder ohne ihre Genehmigung zu tun. Das kann soweit gehen, dass es keine eigenen Wünsche mehr hat und schließlich resigniert.

2.) Die Versagung. Diese ist meist tragischer als die übermäßige Verwöhnung. Gemeint ist damit die Situation, wo eine Mutter das Kind nicht gewollt hat oder es ablehnt und feindselige Gefühle ihm gegenüber hegt. Ursachen hierfür können eine Überforderung der Mutter sein, z.B. das erste Kind. Sie versuchen sich zu bemühen, aber dahinter spürt das Kind die Ablehnung oder Feindseligkeit, den Mangel an echter Liebe.

3.) Verlauf und Symptome

Verlauf der Verlustangst
Da sich das Kind noch nicht wehren und seine Bedürfnisse ausdrücken kann, nimmt das Kind allmählich resignierend die Welt hin wie sie ist, stellt sich darauf ein, dass von ihr offenbar nicht mehr zu erwarten ist.
Das ergibt das Lebensgrundgefühl vieler Depressiver: eine weitgehende Hoffnungslosigkeit; sie können nicht an die Zukunft glauben, auch nicht an sich selbst und ihre Möglichkeiten, sie haben es nur gelernt, sich anzupassen. Das Gefühl der Aussichtslosigkeit beherrscht sie, sie sind nur stark im Ertragen und Verzichten. Anstatt erwartungsvoll und hoffend in der Welt zu sein, erwarten sie immer das Schlimmste, sind ausgesprochene Pessimisten und können sich schwer vorstellen, dass das Leben auch für sie einmal etwas Frohes, Leichtes und Beglückendes bringen könnte. Und wenn es doch einmal geschieht, bekommen sie Schuldgefühle und fragen sich, womit sie das verdient haben. Sie können sich gar nicht mehr richtig freuen und zerstören sich manche Glücksmöglichkeiten durch ihre Enttäuschungsprophylaxe.

Körperliche Symptome der Verlustangst
Die Konflikte Depressiver drücken sich körperlich bevorzugt in den Störungen des Aufnahmetraktes aus, welcher ja Sinnbildlich für das sich Nehmen bzw. einverleiben steht. Dieses kann sich in Magersucht oder Fettsucht äußern, man spricht nicht umsonst von „Kummerspeck“. Ein anderer Punkt ist zum Beispiel die „Gedächtnisschwäche“, dies betrifft das sich etwas merken oder schnell vergessen. Das kann auch zu Lernschwierigkeit oder Teilnahmslosigkeit führen. Diese Gedächtnisschwäche Depressiver sind häufig ein Anzeichen für Resignation und ihre tiefe Überzeugung, dass ihnen doch nichts glücken würde. Sie verzichten dann lieber im voraus – so könnten sie wenigstens noch angenehm überrascht werden.

Das werdende Kind kann sich immer nur so entwickeln, wie es die Mutter bewusst und unbewusst zulässt
Der Wunsch nach vertrautem Nahkontakt, die Sehnsucht, lieben zu können und geliebt zu werden, gehört zu unserem Wesen und ist eines der Merkmale der Menschlichkeit überhaupt. Als Liebende haben wir den Wunsch, den geliebten Menschen glücklich zu machen; wir fühlen uns in ihn ein, wir wollen seine Wünsche erraten, denken mehr an ihn als an uns selbst, können uns selbst vergessen und den beglückenden Austausch des Gebens und Nehmens erleben, der uns mit ihm zu einem Wir zusammenschmilzt, das die Getrenntheit der Individuen aufhebt, wenigstens für Augenblicke. Das Urbild für eine solche Liebe ist die Mutter-Kind-Beziehung.

4.) Verhaltensweisen Betroffener

Furcht und Verteidigungsstrategien
Im Gegensatz zum Schizoiden Menschen (bitte keine Scheu vor diesen Ausdrücken - solche Momente erlebt jeder Mensch in bestimmten Lebenverläufen), will der Depressive dem anderen so nahe wie möglich sein. Je weniger er sein eigenes ICH entwickelt hat, umso mehr erlebt er jede Distanz, jede Trennung und Entfernung von einem Partner mit Angst und wird versuchen, es nicht dazu kommen zu lassen. Ihm bedeutet Ferne Alleingelassenwerden und Verlassenwerden, diese kann dann in eine tiefe Depression und zu Verzweiflung führen.

* Die einzige Möglichkeit für ihn wäre, um nicht der Trennungs- und Verlustangst ausgesetzt zu sein, viel Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu entwickeln.
* Dieses aber fällt ihm sehr schwer, denn er müsste dafür eben diese enge Bindung an den anderen lockern, und dies würde unweigerlich sofort wieder Verlustangst auslösen.
* Deshalb wird er versuchen entweder sich oder den anderen Abhängig zu machen.

Eine Möglichkeit ist z.B. also einen Menschen fest an sich zu binden, indem man möglichst kindlich-hilflos und abhängig von ihm bleibt, um damit zu demonstrieren, dass man nicht verlassen werden darf.

Anders ausgedrückt, je weniger wir gelernt haben unsere eigene Selbständigkeit zu entwickeln, um so mehr brauchen wir andere, die ein stärkeres ICH haben und uns so als Halt dienen.

Der depressive Mensch idealisiert eher die anderen, vor allem die, die ihm nahe stehen, er verharmlost sie, entschuldigt ihre Schwächen oder übersieht ihre dunklen Seiten. Er möchte nichts erschreckendes oder Beunruhigendes an ihnen Wahrnehmen, weil das seine Beziehung gefährden würde.
Deshalb geht er Spannungen aus dem Weg, vermeidet Auseinandersetzungen und betreibt eine Vogel-Strauß-Politik.
Um nun seinerseits „gut“ zu sein, bedient er sich aller Tugenden:
Bescheidenheit, Verzichtsbereitschaft, Friedfertigkeit, Selbstlosigkeit bis hin zur Selbstaufgabe, Mitgefühl und Mitleid.

Dies kann dazu führen, dass es zu einer Überanpassung und Unterordnung kommt, die masochistisch-hörige Verhaltensweisen aufzeigen können. So kommt es dann zu passiven Erwartungshaltungen und eventuell auf das Verzichten von Belohnungserwartungen.

Quelle:
www.verlustangst.de