Mein Roman

 

 

 

Rendevouz in den Frühling

 

von Michael Rebentisch

 

Soeben hatte ich das letzte Geschirr in den Spüler geräumt. Dann schaute ich mich in der sauberen Küche um und war stolz auf mich. Da wurde mir klar, dass ich mich noch nie so heimisch an diesem Ort gefühlt hatte wie in diesem Haus.
Dabei war ich durch eine Notlage dazu gezwungen worden, den Hausmann für eine Frau zu spielen, die ich kaum kannte. Ich holte mir ein Glas Limonade, setzte mich an den Küchentisch und ließ noch einmal vor meinem geistigen Auge die Umstände passieren, die mich in diese Lage gebracht hatten. Für viele Menschen mag der Umzug in eine fremde Stadt ein Abenteuer sein, aber für mich war es etwas anderes gewesen. Ich war aus einer unangenehmen Situation nach meiner Scheidung geflohen. Die Freunde meiner Exfrau waren auch meine Freunde. Ihre Familie kannte meine Familie, und so begegnete ich ständig Menschen, die gegen mich Partei ergriffen hatten. Das waren die Nachteile einer Nachbarschaft, die äußerst hellhörig war, der ich deswegen den Rücken kehrte. Da ich meine Arbeit als Manager eines Supermarktes, der zu einer großen Kette gehört, recht gut machte, hatte ich keine Schwierigkeit, in eine andere Filiale in einer andern Stadt versetzt zu werden. Mein Problem war nur, dass ich von Natur aus Schüchtern bin. Bei meiner Arbeit gelang es mir zwar, meine Schüchternheit zu überwinden, aber privat war ich besonders Frauen gegenüber sehr verklemmt.
Ich war achtzehn, als ich das erste Mal mit einem Mädchen ausging, und zwei Jahre später, gleich nach meiner Ausbildung, heiratete ich dieses Mädchen, Sabine Vogel. Im verflixten siebten Jahr erwischte ich meine Frau in den Armen ihres Arbeitskollegen, und damit war die Ehe zu Ende. Während der Scheidung mischte sich die halbe Stadt in unsere Angelegenheiten. Einige Leute warfen mir vor, Sabine vernachlässigt und dadurch in die Arme ihres Arbeitskollegen getrieben hätte. Die anderen hielten Sabine für verrückt, weil sie einen so strebsamen Mann wie mich nicht gehalten hatte.
Meine Versetzung nach Happenstedt war ein Segen und Fluch zugleich. Es war ein Segen, weil ich dem Klatsch und Tratsch entging, und ein Fluch, weil ich in Happenstedt keinen Menschen kannte. Sechs Monate lang aß ich allein, schlief allein und saß auch mutterseelenallein vor dem Fernseher. In meiner Einsamkeit begann ich dann die Kontaktanzeigen in den Zeitungen zu studieren. Ich suchte die große Leibe und eine Frau, die zum Essen oder ins Kino ausführen konnte.
Dann entdeckte ich die Anzeige. Die Frau war sechsundzwanzig Jahre alt und suchte einen anständigen Mann. Sie beschrieb sich als passabel aussehend, schlank, mit blauen Augen, und als Hobby gab sie Reiten, Kegeln und ausgerechnet Wandern an.
Wandern überzeugte mich, denn es ist auch ein Hobby von mir. Wie schön musste es sein, wenn ich in Zukunft nicht mehr alleine durch die Wälder streifen musste, sondern von einer Frau begleitet wurde. Ich brauchte ein paar Tage, bevor ich die Mailbox der Frau anrief und eine Nachricht hinterließ. Ich musste mir den Text zuvor aufschreiben, um am Ende nichts zu vergessen. Trotzdem stotterte ich beim Vorlesen und schämte mich. Welche Frau würde wohl mit so einem Mann ausgehen wollen, dacht ich betrübt. Sie würde denken, dass er nicht einmal ein vernünftiges Gespräch führen konnte und daher auch nicht zu einer vernünftigen Beziehung fähig war. Vielleicht war ich wirklich so langweilig wie Sabine es immer behauptet hatte. Zu meinem Erstaunen meldete sich Alexa und verabredete sich mit mir. Ihre Stimme klang weich und zögernd, und ich brauchte etwa dreißig Sekunden, bis ich merkte, dass sie ebenfalls schüchtern war.
Ich hatte zwar Bedenken, wie zwei Schüchterne eine Unterhaltung führen sollten, anderseits stärkte es auch ein wenig mein Selbstbewusstsein, weil ich nicht allein ein solches Problem hatte.
Wir verabredeten uns in einem einfachen Restaurant, wo die Bedienung freundlich und das Essen gut war. Ich traf vor Alexa ein, damit ich sie sehen konnte, bevor sie mich sah. Sie hatte mir gesagt, dass sie als Erkennungszeichen eine weiße Nelke tragen würde.
Nie werde ich meine Überraschung vergessen, als ich Alexa zum ersten Mal sah. Sie sah nicht nur passabel, sondern phantastisch aus. Ihr dichtes, langes braunes Haar hatte einen leicht rötlichen Schimmer. Sie war zierlich, aber ihr elegantes Kleid zeigte, dass sie Kurven am rechten Fleck hatte. Ihr Gesicht war das eines Engels. Sie hatte volle wunderschön geschwungene Lippen, hohe Wangenknochen und große Augen unter dichten Wimpern. Ich sah, dass sie sich im Lokal nach mir umschaute. Ich weiß nicht mehr, wie es mir gelang, meine Hand zu heben und auf mich aufmerksam zu machen, denn ich hatte das Gefühl, dass ich zu gar nichts mehr in der Lage wäre.
Sie sah mich, und zu meiner Erleichterung lächelte sie scheu, als sie auf unseren Tisch zukam. Ich sprang auf, um ihr den Stuhl zurechtzurücken und dabei sog ich den Duft ihrer Haare ein. Es war der Duft von Geißblatt im Sommerwind, und ich fragte mich, ob sie überall so gut duftete und ob ich die Gelegenheit bekommen würde es herauszufinden.
„Hallo“, sagte sie und setzte sich mir gegenüber.
Ich schluckte ein paar Mal, unfähig meinen Blick von ihren wunderschönen braunen Augen zu wenden. „Hallo“, wiederholte ich, und dann platzte ich heraus: „Du bist viel schöner, als ich es erwartet habe.“
Sie lächelte und senkte den Kopf, wobei ihr das schöne Haar ins Gesicht viel und ihre erröteten Wangen verdeckte. Ich hatte das Gefühl, dass sie das öfters machte.
„Du siehst auch besser aus, als ich es mir vorgestellt habe“, murmelte sie und griff verlegen nach der Speisekarte.
Sie hielt die Karte nicht vor ihr Gesicht, wie ich erwartet hatte, sondern ihren Augen wanderten zwischen mir und der Karte her, als könne sie nicht glauben, was sie sah.
Ich griff ebenfalls nach der Speisekarte und öffnete sie. „Die vegetarischen Gericht sollen hier besonders gut sein“, sagte ich. Schließlich gaben wir unsere Bestellung auf. Danach herrschte Schweigen zwischen uns, das von Alexa zuerst unterbrochen wurde.
„Erzähl ein wenig von dir, Marko. Was machst du so?“
„Ich bin...“ Ich räusperte mich und merkte, wie ich rot wurde. „Ich leite einen Supermarkt. Und was machst du?“
„Ich leite eine Modelagentur“, antwortete sie mir.
„Ich wusste, dass du ein Model bist“, sagte ich.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich bin kein Model. Ich leite nur die Agentur.“ Sie nannte einen Namen, den ich kannte.
„Wir nehmen deine Agentur manchmal für Werbeaufnahmen in Anspruch“, sagte ich
Für eine Weile unterhielten wir uns über unsere Arbeit. Dann brachte die Kellnerin unsere Bestellung, und wir sprachen übers Wandern. Bis der Nachtisch serviert wurde, hatten wir beide den größten Teil unserer Schüchternheit abgelegt.
Ich konnte mein Glück nicht fassen. Alexa war nicht nur schön und sexy, sie war auch klug und interessant. Und sie liebte das Wandern, das durfte ich nicht vergessen.
Erst beim Abschied vor dem Restaurant fiel ein kleiner Schatten auf den Abend. Ich wollte Alexa in meinem Wagen nach Hause fahren, aber sie bestand darauf eine Taxe zu nehmen.
„Ich fahre sonst immer selbst“, erklärte sie. „Aber mein Wagen ist in der Werkstatt.“
„Es macht mir wirklich nicht aus“, drängte ich. Der Abend war so schön gewesen, dass ich ihn noch etwas verlängern wollte.
„Nein, wirklich nicht“, lehnte sie ab.
Ich wollte sie nicht durch mein Drängen verschrecken, und so begleitete ich sie zum Taxistand. Dabei fragte ich, ob ich sie am nächsten Freitag zum Essen und anschließend ins Kino einladen dürfte. Sie nahm die Einladung an, aber wieder bestand sie darauf, dass wir uns irgendwo trafen und ich sie nicht von zu Hause abholen sollte.
„Ich liebe meine Unabhängigkeit“, erklärte sie. „Das solltest du von Anfang an wissen.“
Ich hatte nichts gegen Unabhängigkeit, wenn sie in der Gestalt von Alexa kam. „Na gut, dann treffen wir uns nächsten Freitag um acht.“ Impulsiv griff ich nach ihrer Hand und führte sie an meine Lippen. Ich lächelte über das Erstaunen auf ihrem Gesicht. „Kann ich dich auch noch zu einem Pizzaabend überreden? Vielleicht am Mittwoch?“
Zögernd schüttelte sie den Kopf. „Nein, in der Woche gehe ich nie aus. Tut mir leid.“
Ich hätte gerne eine kleine Erklärung gehabt, aber das konnte warten. Dies war unser erstes Date. Und – hoffte ich inständig – nicht unser letztes.
Bei unserem vierten Date fing ich an, Alexa damit zu necken, dass sie etwas vor mir verberge. Sie weigerte sich noch immer, von mir abgeholt oder nach Hause gebracht zu werden und wechselte das Thema, wenn ich nach ihrer Adresse fragte.
„Ich hab’s“, sagte ich, als wir aus dem Kino kamen. „Du lebst bei deiner Mutter, und die ist so hässlich, dass du Angst hast, mich zu erschrecken.“
Sie lachte, aber ihr Gesicht wurde rot. „Nein, das ist es nicht.“
„Haust du in einem Zelt?“ „Nein.“
Ich fuhr mit meinen unmöglichen Vermutungen fort: „Du bist unglaublich reich, und ich soll es nicht erfahren. Du willst erst sicher sein, dass ich dich deiner selbst wegen liebe.“
Mein hoffnungsvoller Ton brachte sie wieder zum Lachen. „Auch falsch.“
„Ein Ehemann“, grollte ich eifersüchtig. „Kein Ehemann.“
Ohne Vorwarnung legte sie die Arme um meinen Hals und küsste mich vor dem Kino und unter ein Dutzend Leuten. „Wow“, konnte ich nur sagen, als sie mich freigab und einen Schritt zurücktrat. Sie schmeckte so gut wie sie roch, genau wie ich es erwartet hatte.
„Ich hoffe, davon bekomme ich noch mehr.“ Plötzlich wirkte sie nervös.
„Tut mir leid. Das ist alles. Wenigstens noch für eine Weile.“
„Und wie lange noch?“ Ich sollte mich für mein Betteln schämen, aber ich konnte es nicht unterdrücken. „Ich weiß nicht, Marko“, sagte sie ernst. „Ich habe den Fehler schon einmal gemacht und will ihn nicht wiederholen.“
„Ich habe dich nicht gefragt, ob du ein Baby von mir haben willst“, sagte ich und versuchte meine Verlegenheit hinter einem Scherz zu verbergen.
Sie verzog keine Miene. Im Gegenteil, sie sah noch ernster aus. „Magst du Kinder?“
Diese Frage kam unerwartet und meine Antwort etwas stotternd. „Na ja, ich plane im Augenblick nicht – ich meine, ich bin noch nicht so weit.“ Ich schloss die Augen und betete um eine Erleuchtung.
„Schon gut, Marko. Es war nur eine allgemeine Frage.“
Aber das hörte sich nicht so an. Ihre Stimme klang als hätte ich einen Test nicht bestanden. Ich fand es nicht fair, dass ich nicht einmal erfuhr, um welchen Test es sich handelte.
Plötzlich sog sie die Luft scharf ein und krümmte sich. Ich hielt sie fest und erschrak über ihr bleiches Gesicht. „Was ist los, Alexa? Du bist ja weiß wie ein Laken.“
Ich führte sie zu einer Bank neben dem Kino.
„Es ist wahrscheinlich nichts“, presste sie hervor. „Ich habe heute schon ein paar Mal solche Stiche in der Seite gehabt, und mir ist übel.“
Ich sah, wie sie die Hand auf ihre rechte Seite drückte. „Hast du deinen Blinddarm noch“, fragte ich. Sie nickte und biss sich auf die Unterlippe. Offenbar hatte sie große Schmerzen.
Ich fasste einen plötzlichen Entschluss, stand auf und griff nach ihrem Arm. „Ich bringe dich nach Hause, und keine Wiederrede. In diesem Zustand kannst du nicht mit dem Taxi fahren.
„Nein, Marko, Ich...“ Der Rest des Satzes wurde von einem weitern Schmerzanfall erstickt.
Vorsichtig half ich ihr in meinen Wagen und schnallte sie an. „Vielleicht sollte ich dich gleich in ein Krankenhaus bringen.“
„Nein, auf keinen Fall. Ich muss nach Hause. Du verstehst das nicht.“
„Stimmt“, sagte ich verärgert. Sie vertraute mir nicht, und das tat mir weh.
„Aber vielleicht würde ich es verstehen, wenn du offen zu mir wärst.“ Ich wartete, aber sie schwieg trotzig. „Ich brauch deine Adresse.“ Seufzend gab sie sie mir. Ich war überrascht und erfreut zugleich, dass wir im selben Stadtteil wohnten. Also hatten wir noch etwas gemeinsam. Begriff sie denn nicht, dass wir füreinander bestimmt waren? Beim Fahren wurde mir klar wie richtig dieser Gedanke war. Nach nur vier Verabredungen konnte ich mir ein Leben ohne Alexa nicht mehr vorstellen. „was machen die Schmerzen?“ fragte ich, als wir vor ihrem Haus hielten. Es war ein kleines Reihenhaus, das sehr gepflegt aussah. Und so einladend, dass fremde Kinder im Garten spielten, denn jemand hatte einen Fußball auf dem Rasen liegen lassen. „Deine Nachbarn haben wohl Kinder“, bemerkte ich als ich ihr aus dem Wagen half. Sie lächelte schwach. „Du brauchst mir nicht ins Haus zu helfen.“
„Kommt nicht in Frage“, wiedersprach ich. „In diesem Zustand lasse ich dich nicht allein. Ich komme mit rein. Mein ältester Bruder ist Arzt, und ich habe ein wenig Ahnung von erster Hilfe. Wenn der Schmerz nicht bald nachlässt, fahren wir ins Krankenhaus.“  „Aber...“
„Kein aber. Dein Blinddarm könnte platzen.“ Ich nahm sie auf die Arme und trug sie zur Tür.
Doch da hatte ich ein Problem.
Ich konnte die Tür nicht aufschließen, solange ich Alexa auf den Armen trug.
„Ich muss dich hinstellen, damit du deinen Schlüssel aus der Tasche holst“, sagte ich.
„Nein.“ Sie drückte auf den Klingelknopf und überraschte mich.
„Mitbewohnerin?“ fragte ich. Sie schüttelte den Kopf und starrte auf die Tür. Auf ihrem Gesicht sah ich nicht nur Schmerz, sondern auch Sorge. Bevor ich weiter Fragen stellen konnte, wurde die Tür geöffnet. Eine junge Frau, höchstens zwanzig, stand auf der Schwelle und sah uns erwartungsvoll an. „Und ich dachte, es ist der Pizzaservice“, sagte sie. Ihre Augen wurden groß. „Um Himmelswillen, Alexa, was ist passiert?“
Wir setzten beide zu einer Erklärung an, als ein etwa siebenjähriges Mädchen neben der jungen Frau auftauchte. Als das Kind Alexa entdeckte, rief es erschrocken:
„Mama, was ist los. Warum trägt dich dieser Mann?“
Mama? Ich hatte die Wahrheit kaum begriffen, als ein weiteres Kind angerannt kam, diesmal ein Junge von etwa vier oder fünf Jahren.
„Bist du es, Mama?“ rief er erfreut und zeigte beim Grinsen eine Zahnlücke.
Mein verwirrter Blick traf Alexa. „Bring mich hinein, und ich erkläre dir alles“, sagte sie.
Darauf hatte ich auch Anspruch. Zwei Kinder und ich hatte nicht einmal gewusst, dass sie Mutter war. Vier Treffen und keine Andeutung. Wie würde sie wohl reagieren, wenn ich plötzlich erklärte, ich sei schwul oder so etwas.
Trotz meiner Erregung behandelte ich Alexa, als wäre sie aus Glas. Ich trug sie ins Wohnzimmer und legte sie vorsichtig auf ein Sofa.
Die junge Frau und die beiden Kinder standen herum und stellten Fragen.
„Was ist passiert, Alexa? Hattest du einen Unfall?“ „Ja, Mama, erzähle es uns.“
Der Junge wollte sich auf das Sofa setzen, aber seine Schwester hielt ihn zurück und sagte zornig. „Lass das, Jonas. Siehst du nicht, dass Mama Schmerzen hat?“
Aus einem anderen Zimmer drang das ungeduldige Geschrei eines weitern Kindes. Die junge Frau blickte in die Richtung. „Sofia sitzt noch in ihrem Stuhl. Ich glaube ich muss sie herausheben.“ Sofia? Noch ein Kind. Ich versuchte mich zu beruhigen und redete mir ein, dass die Kinder ja nicht alle zu Alexa gehören mussten.
Vielleicht gehörte Sofia der Babysitterin, denn ich nahm an, dass es sich bei der jungen Frau um die Babysitterin handelte. Dann kam der nächste Schock. Alexa richtete sich mühsam auf und verzog das Gesicht vor Schmerz.
„Hol sie her, Connie. Sie hat wahrscheinlich meine Stimme gehört.“
Ich holte tief Luft und atmete langsam aus. Alexa hatte also drei Kinder! Warum hatte sie mir das nicht erzählt? Keine einzige Andeutung, soweit ich mich erinnern konnte. Was hatte sie vor? Hatte sie warten wollen, bis ich mich unsterblich in sie verliebt hatte, bevor sie die Bombe platzen ließ? Connie, die Babysitterin, kehrte mit Sofia zurück. Es war ein entzückendes kleines Mädchen, das seiner Mutter glich. Als es Alexa sah, fing es an zu glucksen und streckte die Ärmchen aus. Alexa lächelte und wollte das Kind nehmen, aber da durchfuhr sie wieder ein Schmerz und sie hielt sich die Seite. Sie schloss die Augen und stöhnte. Alle waren still. Als sie die Augen wieder öffnete, waren sie dunkel vor Qual. Ich blickte in diese schönen, schmerzerfüllten Augen und vergaß unsere Zuschauer. Ich drängte mich vor, nahm Alexa wieder auf die Arme, und in einem Ton, der keine Wiederrede duldete, sagte ich: „Ich bringe dich ins Krankenhaus.“
Connie gab mir Recht. „Alexa, mir dir stimmt was nicht. Ich kann bei den Kindern bleiben.“ „Du hast Vorlesungen“, keuchte Alexa.
„Den Stoff kann ich nachholen. Das hier sieht ernst aus.“
Alexa war aufgeregt und wand sich in meinen Armen.
„Ich kann nicht ins Krankenhaus. Ich kann meine Kinder nicht alleine lassen.“
„Ich bin ja hier“, wiederholte Connie. „Wenn du länger im Krankenhaus bleiben musst, werden wir eine Lösung finden.“
Eine Stunde später, nach der Untersuchung in der Notaufnahme, kam der Arzt zu uns. Er reichte mir die Hand in der Annahme, dass ich Alexas Mann sei.
„Herr Cramer? Ich bin Dr. Breitner. Es gibt keinen Zweifel. Ihre Frau leidet eindeutig an einer akuten Blinddarmentzündung. Wir müssen so schnell wie möglich operieren.“
Wir dachten beide nicht daran, den Arzt über unsere Beziehung aufzuklären. Ich machte mir zu große Sorgen um Alexa, und sie war von der Diagnose wie betäubt.
„Aber ich habe drei Kinder, um die ich mich kümmern muss.
Ich kann mir keine Operation leisten.“
Dr. Breitner sah mich an. „Aber sie haben doch einen Ehemann.“
„Das ist nicht mein Mann“, sagte Alexa.
„Er ist mein Date. Er hat meine Kinder gerade erst kennen gelernt.“
„Sie müssen eine Lösung finden, Frau Cramer“, erklärte der Arzt. „Mit einem Blinddarmdurchbruch ist nicht zu spaßen. Was ist mit ihren Eltern? Geschwistern? Freunden?“
Alexa schüttelte den Kopf. „Ich war ein Waisenkind, und meine Freunde kennen sich nicht mit Kindern aus und sind außerdem berufstätig.“
„Was ist denn mit Connie?“ fragte ich. Ich war zwar immer noch leicht verärgert, weil Alexa mir ihre Kinder verschwiegen hatte, aber meine Sorge um ihre Gesundheit überwog.
„Sie muss zur Uni“, sagte Alexa und krümmte sich vor Schmerzen.
Dr. Breitner zuckte ratlos mit den Schultern. „Ich lasse Sie beide alleine, damit sie sich beraten können.“ Schleichend verließ er den Behandlungsraum.
Kaum war er draußen, hörte ich mich sagen:
„Ich bleibe bei den Kindern. Ich kann mir ein paar Tage frei nehmen.“
„Das geht nicht. Wir kennen und doch kaum.“
„Ich bin weder ein Kinderschänder noch ein Massenmörder“, sagte ich lächelnd.
„Und wenn du es wärst, würdest du es mir nicht verraten“, erwiderte Alexa und stöhnte.
„Außerdem kann ich es nicht annehmen.“
„Würde es dir helfen, wenn ich dir erkläre, dass ich schon halb in dich verliebt bin?“
Ich lachte über ihr verblüfftes Gesicht. „Obwohl ich sauer bin, dass du mir nichts von den Kindern erzählt hast, bin ich nicht bereit, deswegen auf unsere Beziehung zu verzichten.“
Tränen traten ihr in die Augen, und ich wusste nicht, ob es aus Schmerz oder Freude war.
„Ich möchte nicht, dass du dich verpflichtet fühlst“, sagte sie schwach.
Ich sah, dass sie mein Angebot gerne annehmen wollte. „Schau, mein Schatz, du hast gar keine andere Wahl.“ Ich zwang mich zu einem Lächeln.
„Außerdem gibt es mir eine Gelegenheit, deine Kinder kennen zu lernen.“
„Das ist nicht so einfach.“
Ich legte meine Lippen auf ihre Finger und ihre Lippen. „Wie schwer kann es schon sein?“
An diesen dummen Satz sollte ich noch Oft denken.
Eine Stunde später wur­de Alexa in den Operationssaal gerollt. Ich rief Connie an, und sie versprach, bei den Kindern zu bleiben, his die Operation vorüber war. Als ich ihr erklärte, dass ich dann die Kinder hüten würde, bis Alexa aus dem Krankenhaus kam, verschlug es Connie für einen Moment die Sprache.
Schließlich sagte sie: ,,Das find ich aber toll von Ihnen, Herr...”  „Einfach Marko.”
Connie kicherte. ,,Okay, Marko. Es ist unglaublich, dass Sie frei­willig die Kinder übernehmen. Das ist mehr, als dieser Kerl je getan hat, mit dem sie verheiratet war.”
Ich konnte nicht widerstehen, ein wenig nachzuforschen. Wenn am Ende ein fremder Mann auftauchte und behaup­tete, den Vater der Kinder zu sein, musste ich schließlich Be­scheid wissen. „Kommt der Va­ter noch immer vorbei?” ,,Nein”, sagte Connie voller Ver­achtung. ,,Der Typ hat sie we­gen einer alten reichen Frau verlassen und lässt es sich jetzt in der Toskana gut gehen. Alexa hört nichts mehr von ihm.”
,,Aber er zahlt doch Unterhalt?”
Ich wurde wütend bei dem Ge­danken, dass man Alexa verletzt hatte.
,,Schön wär’s.” Connie lachte verächtlich.
,,Alexa hat immer das Geld für die Familie ver­dient. Er hat die meiste Zeit nicht gearbeitet.”
,,Anscheinend kennen Sie Alexa sehr gut”, bemerkte ich.
,,Wir sind schon lange Nach­barn”, antwortete sie.
Ich versprach ihr, dass ich sie wieder anrufen würde, sobald die Operation vorbei war. Dann legte ich auf. Danach rief ich meinen Distriktmanager an und erklär­te ihm, dass ich aufgrund eines familiären Notfalls eine Woche Unlaub nehmen musste. Nachdem ich alles erledigt hat­te, setzte ich mich ins Wartezimmer und wartete, dass Alexa aus dem Operationssaal kam. Ich war ein wenig besorgt, aber ich wusste von meinem Bruder, dass Blinddarmoperationen im Allgemeinen nicht gefährlich waren. Alexa war eine junge Frau und würde bestimmt alles gut überstehen. Das musste sie, denn ich verliebte mich immer mehr in sie. Zwei Stunden später wurde ich von einer Schwester aus einem leichten Schlaf geweckt. Ich brauchte einen Moment, bis ich mich erinnerte, wo ich war. ,,Alexa? Ist sie okay?”
Die Schwester nickte. ,,Sie hat alles gut überstanden und wird wahrscheinlich den Rest der Nacht durchschlafen. Sie kön­nen nach Hause fahren und sich ausruhen.”
Am liebsten hätte ich Alexa noch einmal ge­sehen und ihr versi­chert, dass ihre Kin­der bei mir gut aufgehoben waren, aber die Schwester er­klärte, dass Frau Cramer zu erschöpft sei, um noch Besuch zu empfangen. Es war Mitternacht, als ich an Alexas Tür klingelte.
Connie öffnete. Sie sah müde aus.
„Ich gebe Ihnen meinen Schlüssel”, sagte sie und holte ihn aus ihrer Hosentasche. „So­fia hatte ihr Bad und schläft seit halb zehn und wind wahr­scheinlich erst morgen früh ge­gen sieben wieder aufwachen.”
Damit wurde ich fertig. Im All­gemeinen stand ich vor sieben Uhr auf.
,,Zum Frühstück bekommt sie einen Milchbrei. Ich habe schon alles hingestellt. Das Pul­ver muss nur in die heiße Milch gerührt werden. Die beiden an­deren Kinder essen Toast mit Marmelade und etwas Obst.”
Milchbrei, Marmeladentoast mit Obst, merkte ich mir.
,,Jonas geht in den Kindergarten und Adriana zur Schule. Das liegt auf dem gleichen Weg, und Alexa bringt die Kinder morgens dorthin, bevor sie zur Arbeit fährt. Adriana kann Ih­nen den Weg erklären.” Connie gähnte, bevor sie fortfuhr: „Die Kindersitze fürs Auto sind in der Garage.”
,,Ich werde sie schon finden.” Ich war beeindruckt, wie ernst diese junge Studentin ihre Arbeit nahm.
Sie war noch nicht fertig. ,,Sofia bekommt um zehn Uhr eine Banane, und mittags können Sie ihr Kartoffelbrei geben, der nur in der Mikrowelle erhitzt werden muss. Können Sie so et­was?”
,,Ich bin schließlich Selbstver­sorger und kann auch Spagetti kochen”, antwortete ich.
,,Dazu werden Sie noch Gelegenheit bekommen.“
Nach dem Mittages­sen schläft Sofia mindestens eine Stunde. In der Zeit können Sie sich auch ausruhen.”
,,Ich halte nie Mittagsschlaf’, widersprach ich.
,,Sollten Sie doch einschlafen, wird die Kleine Sie bestimmt mit Geschrei wecken. Adriana geht nach der Schule in den Kinder­hort, der dem Kindergarten von Jonas angeschlossen ist.
Sie müssen die beiden Kinder dort um fünf Uhr abholen.” Ich nickte.
,,Alexa ruft Sie sicherheitshalber um halb fünf an, damit Sie es nichtvergessen.”
„Alexa? Haben Sie mit ihr ge­sprochen?” Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die stren­ge Schwester Alexa erlaubt hat­te, nach der Operation noch ein Telefongespräch zu führen.
Connie grinste. ,,Sie kennen Alexa nicht. Sie ist die beste Mutter der Welt, und nichts konnte sie davon abhalten, sich zu vergewissern, dass ihre Kin­der gut versorgt sind.”
,,Verstehe”, murmelte ich.
,,Im Notfall können Sie Alexa auch selbst anrufen. Sie hat an ihrem Bett einen eigenen Ap­parat”.
Ich war ein wenig verletzt, dass Alexa mir so wenig zutraute. So schwer konnte es doch nicht sein, sich um drei Kinder zu kümmern. Wie sehr man sich doch irren kann. Zuerst musste ich mir je­doch einen Platz zum Schlafen suchen. Leise ging ich nach oben und öffnete eine Tür. Adriana schlief in einem breiten Bett und Sofia in einem Gitterbett mit dein Daumen im Mund. Das Zimmer daneben war kleiner, und hier schlief Jonas. Die Wände waren mit Postern zugepflastert. Das letzte Schlafzimmer war eindeutig feminin in zarten Pas­telltönen gehalten. Das breite Bett, in dein Alexa sonst schlief, sah weich und einladend aus. Ich bedauerte nur, dass Alexa nicht da war, um es mit mir zu teilen. Ich beschloss, in meinen Sa­chen zu schlafen, bis ich Zeit habe, meinen Pyjama zu holen. Ich kroch unter die Decke und überlegte, ob Alexa schlafen konnte, oder ob sie sich Sorgen um ihre Kinder machte. Ich wünschte, sie würde mir ver­trauen.
Gerade als ich einschlafen woll­te, öffnete sich die Tür und im nächsten Moment spürte ich einen kalten Fuß an meinem Bein. Ich warf die Decke zurück und schaltete die Nachttisch­lampe an. Jonas rieb sich die Augen.
Als er mich sah, fing er an zu weinen. ,,Mein Bett ist nass. Ich will zu meiner Mama.”
Verlegen klopfte ich ihm auf den Rücken. ,,Deine Mama kommt bald nach Hause. Komm, wir wechseln dein La­ken, und dann kannst du wei­terschlafen.”
Keiner hatte mich davor gewarnt, dass Jonas noch ins Bett machte. Lag es daran, dass seine Mutter im Kranken­haus war und der Junge Angst hatte?
Beruhigend sagte ich: „Du musst dich deswegen nicht schämen. So etwas kommt bei kleinen Jungs oder Mädchen schon mal vor.”
,,Hast du das auch gemacht?” Jonas hörte auf zu weinen und tappte mir voran in sein Zimmer
,,Bestimmt.” Ich konnte mich zwar nicht daran erinnern, aber es half dein Jungen.
,,Weißt du, wo die Laken sind, kleiner Mann?”
,,Ich heiße Jonas”, erklärte er. ,,Und die Laken sind im Flur­schrank.”
,,Und ich heiße Mar­ko”, sagte ich und holte frische Bettwäsche. ,,Was hältst du von einein Abkom­men? Ich nenne dich Jonas, und du nennst mich Marko.”
Jonas nickte. ,,Okay, Marko.”
Ich wechselte das Laken, wäh­rend Jonas sich im Bad einen sauberen Schlafanzug anzog. Ich deckte den Jungen zu. Dann ging ich zurück in Alexas Zim­mer.
Ich hatte höchstens zehn Minu­ten geschlafen, als ich durch ei­nen lauten Schrei geweckt wur­de. Erschrocken sprang ich aus dein Belt. Der Schrei kam aus dein Zimmer der Mädchen. Ich öffnete die Tür und blieb stehen. Adriana ver­suchte Sofia zu beruhigen, die in ihrem Belt stand und wütend schrie. Das kleine Ge­sicht war knallrot und Tranen liefen über ihre Wangen.
,,Was ist los mit ihr?” fragte ich und hatte Angst, das Kind zu er­schrecken, wenn ich näher trat Adriana drehte sich um, aber sie schien nicht erstaunt zu sein, mich zu. sehen. Anschei­nend hatte Connie sie vorberei­tet.
,,Ich weiß nicht. Mama nimmt sie immer mit zu sich ins Belt, damit ich nicht gestört werde.”
Sie schnupperte. ,,Ich glaube, sie hat eine Stinkewindel.”
Windel? War Sofia mit zwei Jah­ren noch nicht sauber? Ich hat­te nicht damit gerechnet, dass ich Windeln wechseln musste. Aber da würde ich nicht drum herumkommen.
Zögernd nahm ich eine Windel von einem Stapel im Regal und suchte nach einem Lappen zum Reinigen. Adriana reichte mir eine Schachtel mit Babytüchlein und eine Salbe, die nicht besonders gut roch. Doch der Geruch war nichts im Vergleich zu dein Gestank, der mir entgegenschlug, als ich Sofias Windel öffnete. Kein Wunder, dass die Kleine geschrieen hatte. Aber mein Mitleid erlosch, als Sofia ausgerechnet in dein Mo­ment aufstand, in dein ich mich nach einem Behälter für die schmutzige Windel umschaute. Ich hatte ihren Po noch nicht abgewischt, und so hinterließ sie eine braune Spur. Sie schrie noch immer wie am Spies und starrte mich an, als wäre ich der Teufel.
Adriana saß auf ihrem Belt und schaute uns mit müden Augen zu.
,,Ich sehe schon, du machst es auch nicht besser als ich. Ich hole ein sauberes Betttuch.”
,,Kannst du nicht etwas tun, da­mit sie aufhört zu kreischen?” Ich musste selbst laut werden, um über das Kindergeschrei gehört zu werden.
,,Nein!” rief Adriana von der Tür. ,,Sie will Mama.” ,,Mama ist nicht da!”
Ich geriet fast in Panik und ver­brauchte fast die Hälfte der Ba­bytücher, um Sofia zu säubern. Ich betete, dass sie endlich Ruhe geben würde, wenn sie wie­der sauber in ihrem Bett lag.
Adriana kam mit sauberen Laken zurück, und zum zweiten Mal in dieser Nacht wechselte ich die Bettwäsche. Als ich auf dein Weg zurück in mein Zimmer war, wurden mei­ne Gebete erhört. Sofia hörte plötzlich auf zu schreien. Ich blickte noch einmal in das Mädchenzimmer and sah den Grund dafür. Sofia lag mit dem Daumen im Mund im großen Belt neben ihre Schwester gekuschelt.
„Sie kann bei mir schlafen”, brummte Adriana.
„Aber wenn sie mein Bett nass macht, musst du es wechseln.”
,,Natürlich”, flüsterte ich. ,,Da­rin bin ich ein Experte. Ich heiße übrigens Marko.”
,,Gute Nacht, Marko.”
,,Gute Nacht, Adriana.”
Ich wollte gerade die Tür schließen, als ich Adriana sagen hörte: ,,Ich glaube, Mama mag dich.”
Sofort drehte ich mich wieder um. ,,Wirklich? Woher willst du das wissen?”
,,Weil du hier bist.”


 

Das war eine kluge Beobach­tung für ein Kind. Ich räusperte mich und fragte ,,Und was ist mit Sofia?” ,,Sie wird dich mögen, wenn du ihr etwas zu essen gibst. Sie liebt jeden, der sie füttert.”
,,Und du?”
,,Ich glaube, du bist okay. Du hast eine Stinkewindel gewechselt. Das hätte unser Vater nie getan.”
Ich akzeptierte das als ein Kompliment, schloss die Tür und kehrte in Alexas Zimmer zu­rück Ich lächelte, als ich wieder unter die Decke kroch und die Augen schloss.
Als um halb sieben der Wecker klingelte, brauchte ich einen Moment, bis ich wusste, wo ich war. Ich sprang aus dem Bett und erinnerte mich daran, was Connie mir am Abend aufgetragen hatte. Ich eilte in die Küche und holte die Milch aus dem Kühl­schrank. Wie versprochen, hat­te Connie alle anderen Zutaten auf dem Küchenschrank bereitgestellt und sogar die Kaffee­maschine für mich vorbereitet. Ich deckte den Frühstückstisch, erhitzte die Milch und rührte das Pulver hinein. Dann ging ich nach oben, um die Kinder zu wecken.
,,Aufstehen!” rief ich laut und steckte meinen Kopf in Adrianas Zimmer.
Ich lachte, als Adrianas mir die Zunge heraus­streckte.
Jonas wach zu bekommen, war schwieriger. Ich musste ihn aus dem Bett zerren und auf die Füße stellen. ,,Aus dem Bett,, junger Mann. Zieh dich an, und komm in die Küche zum Früh­stück.”
Er schaffte es bis an den Tisch, schlief aber auf seinem Stuhl wieder em.
,,Was mache ich jetzt?” fragte ich Adriana hilfesuchend.
Sie zuckte die Schultern. ,,Ma­ma kitzelt ihn, bis er wach wird.”
Ich folgte ihrem Rat und kitzel­te den Jungen, bis meine Finger müde wurden. Endlich gähnte er und setzte sich gerade bin. Dann füllte ich den Milchbrei in eine Schüssel, streute Schokola­denraspeln darüber und stellte die Schüssel auf den Tisch von Sofias Hochstuhl. Das kleine Mädchen strahlte mich an. Auch die beiden anderen Kin­der waren mit ihrem Toast und Kakao zufrieden.
Während ich meinen Kaffee schlürfte, be­trachtete ich die Idylle am Frühstückstisch und fühlte mich wohl. An diese Kinder könnte ich mich gewöhnen. Irgendwie gelang es mir, Adria­na pünktlich zur Schule und Jo­nas in den Kindergarten zu bringen. Mein erster Tag als Hausmann war anstrengend, und ich war froh, als Connie am Abend erschien und mir die Kinder abnahm. Jetzt winkte meine Belohnung. Ich durfte ins Krankenhaus zu Alexa. Ich konnte es nicht er­warten, sodass ich nicht vorher in meine Wohnung fuhr, um mich umzuziehen. Das war das Erste, was Alexa bemerkte, als ich in ihr Kran­kenzimmer kam.
,,Du warst noch nicht bei dir zu Hause”
Ich sah sie erstaunt an. ,,Woher weißt du das?”
,,Weil du noch immer den glei­chen Anzug trägst.”
„Und der sieht etwas mitge­nommen aus”, gab ich zu.
Ich grinste und zog mir einen Stuhl an ihr Bett Dann nahm ich ihre Hand. ,,Wie geht es dir?”
„Besser. Es tut nur noch etwas weh. Der Arzt sagt, ich kann morgen schon nach Hause.”
„So schnell?”
Ihre Augenbrauen schossen nach oben. ,,Ich dachte, du würdest dich freuen.”
,,Das tue ich auch. Aber so früh nach einer Operation. Ist das nicht gefährlich?”
,,Ich werde mich noch schonen müssen”, sagte sie. ,,Aber Adriana hilft mir, wenn es sein muss. Hat bei dir alles geklappt? Ich weiß, die Kinder können ganz schön anstrengend sein.”
,,Es gab keine Probleme. Jonas hat mich sogar gefragt, ob ich sein neuer Papa werden möch­te.”
Alexa wurde rot. Sie sah hin­reißend aus.
,,Oh, das ist mit aber peinlich. Ich entschuldige mich für ihn.”
,,Wofür?” Ich drückte ihre Hand. ,,Ich habe deinem Sohn gesagt, dass du das entscheiden musst.”
,,Marko, du kennst mich doch kaum.”
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. ,,Ich weiß, dass du eine liebenswürdige, schöne Frau bist und eine großartige Mutter. Ich weiß, dass du drei wunderbare Kin­der hast.” Tränen schimmerten in ihren Augen, als ich fortfuhr:
,,Und ich weiß auch, dass dein Bett bequemer ist als meins und dass ich dich liebe.”
,,Wegen meines Bettes?” zog sie mich auf und wischte sich die Tränen weg.
,,Marko, das geht alles zu schnell.”
,,Wir haben genug Zeit, über alles zu reden, wenn du wieder zu Hause bist. Ich habe mit eine Woche frei genommen und werde mich um dich küm­mern.”
,,Darum kann ich dich nicht bitten.”
,,Du bittest mich auch nicht. Ich bitte dich, mich gewahren zu lassen. Ich liebe dich und möchte für dich sorgen. Und ich will deine Kinder um mich haben.
Versprichst du mir, dass du darüber nachdenkst.“
Sie zögerte einen Moment, dann sagte sie ernst: ,,Ich denke darüber nach.”
Ich holte Alexa am nächsten Tag aus dem Krankenhaus und schickte sie zu Hause gleich in ihr Bett. Sie wehrte sich und wollte lieber im Wohnzimmer auf dem Sofa liegen, aber ich wagte nicht, das Risiko einzu­gehen, dass Sofia auf ihr he­rumturnte und die Narbe auf­platzte.
Schließlich sah Alexa mei­ne Bedenken ein und blieb in ihrem Zimmer mit geschlossener Tür. Ich ließ Sofia immer nur für kurze Besuche zu ihrer Mutter und blieb dann wachsam neben dem Bett stehen, um das Kind aufzufangen, wenn es zu nahe an Alexas operierte Seite kam.
Alexa verbrachte viel Zeit am Telefon und sprach mit Kunden und ihren Models, während ich das Haus putzte, kochte und mich um die Wäsche kümmer­te. Connie kam jeden Abend für ein paar Stunden, und die ver­brachte ich dann mit Alexa. Mir machte es wirklich Spaß, die Mutterrolle zu übernehmen, obwohl ich Alexa davon nur schwer überzeugen konnte. Schließlich kam der Tag, als der Arzt Alexa erlaubte, sich wieder normal zu bewegen. An dem Tag putzte ich die Küche beson­ders blank und suchte noch ein paar Ausreden, um die Rück­kehr in meine kalte, einsame Wohnung hinauszuschieben. Connie war mit den Kindern in den Zoo gegangen, und ich wollte mich verabschieden, sobald sie zurückkamen. ,,Hallo”, sagte Alexa von der Tür und erschreckte mich.
,,Hallo”, erwiderte ich und stell­te das Limonadenglas auf den Tisch. Sie sah bezaubernd aus in dem hellen Sommerkleid, das die schmale Taille betonte. Kein Wunder, dass ich nie auf den Gedanken gekommen war, dass diese Frau drei Kinder zur Welt gebracht haben könnte.
Mein Hals war trocken, als ich sie jetzt anschaute. Es hatte zwischen uns keinen Hauch von Intimität mehr gegeben, seit sie mich vor dem Kino geküsst hatte, und trotzdem liebte ich Alexa immer mehr. Ich sehnte mich danach, sie in den Armen zu halten, sie zu küssen, sie ins Bett zu tragen.
,,Connie ist mit den Kindern im Zoo”, sagte ich. Sicherlich wusste sie das, aber mit fiel nichts Besseres ein.
,,Ich weiß”, bestätigte sie dann auch. ,,Ich habe sie dorthin ge­schickt.”
Ihre braunen Augen musterten mich von oben his unten, ein langsamer Blick, der Hoffnung in mit weckte. ,,Ich war es leid, noch länger in meinem Zimmer auf dich zu warten.” Sie kam zu mir und legte ihre Arme um meinen Hals.
,,Wirklich?” Bevor der Traum verschwinden konnte, drückte ich Alexa fest an meine Brust und küsste sie.
Sie nahm meine Hand und führte mich in ihr Zimmer, und jetzt wurde mein lang gehegter Traum endlich erfüllt.
Als wir dann ihr Zimmer betraten, bemerkte ich, dass sie die Gardinen zugezogen hatte und kleine Teelichter auf dem Boden verteilt, aufgestellt hatte.
„Küss mich“ bat sie mich sehnend, ihre Augen leuchteten wie Gold im Sonnenschein.